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Wie kam es zum I. Weltkrieg?


Verhältnis Deutschland <> Rußland

Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhundert trat Deutschland in die Periode der Hochindustrialisierung ein. Bis 1914 erreichte es den zweiten Platz in der Welt sowohl in der Industrieproduktion (hinter den USA) wie im Außenhandel (hinter Großbritannien). Es war natürlich, daß das deutsche Industrie- und Bankkapital mit dieser Wirtschaftskraft im Rücken auf auswärtige Märkte drängte, um Waren zu exportieren und Geld anzulegen. Der eigentlich für die deutsche Wirtschaft vor der Tür liegende ideale Markt war Rußland. Aber 1887 hatten die Großagrarier erreicht, daß Bismarck den deutschen Banken Kredite für Rußland verbot. Hintergedanke war dabei die Sorge, daß deutsches Kapital für den Bau russischer Eisenbahnen verwandt würde, die russisches Getreide billig auf den deutschen Markt transportieren könnten.

Spannungsverhältnis Deutschland <=> Rußland

In die entscheidende Lücke sprangen französische Banken und ermöglichten der französischen Politik so eine Annäherung an Rußland, die 1893 zunächst im Abschluß eines französisch-russischen Militärbündnisses gipfelte.

Spannungsverhältnis Deutschland <=> Frankreich vorprogrammiert!

Rußland mußte sich um so mehr vor den Kopf gestoßen fühlen, als trotz mehrerer russischer Offerten die 1890 fällige Erneuerung des deutsch-russischen Rückversicherungsvertrages verweigert und Bismarcks Entlassung offiziell mit Differenzen begründet wurde, die er mit Wilhelm II. über den Vertrag gehabt habe. Da war also seit 1893 jene alptraumhafte Koalition der großen Nachbarn im Osten und im Westen, die Bismarck unbedingt hatte vermeiden wollen.

Verhältnis Deutschland <> England

Als alternativer Bündnispartner bot sich nun England an, und 1890 wurde auch gleich unterstrichen, wie gut man mit den Briten Politik machen könne. Die winzige, aber strategisch wichtige Insel Helgoland wurde von London gegen einen Teil der deutschen Schutzgebiete in Ostafrika eingetauscht. Anfang 1896 provozierte Wilhelm II. eine ernsthafte Verstimmung bei der britischen Regierung, als er in Südafrika der Buren-Republik Transvaal in Südafrika in einem Telegramm zum Sieg der Buren über einen Haufen englischer Abenteurer gratulierte, die die Republik überfallen hatten. Die britische Regierung sah die Buren-Republik aber als ein Teil ihres Empire an und erblickte in dieser Depesche eine Einmischung in innere Angelegenheiten. Den nächsten Fehltritt gegen England leistete sich Wilhelm II. Ende 1898 auf seiner Orientreise, auf der er erklärte, alle Mohammedaner der Welt könnten in ihm einen Freund sehen. Angesichts der Tatsache, daß nicht nur unzählige Mohammedaner in englischen Kolonien lebten, sondern britische Truppen gerade im Sudan den Aufstand fanatischer Anhänger einer mohammedanischen Sekte niederschlugen, wurden diese Äußerungen in England als Provokation empfunden. Auch verfolgten die Engländer aufmerksam, wie sich deutsches Kapital, deutsche Militärbeobachter und deutsche Ingenieure zunehmend in der Türkei aufhielten und mit dem Bau einer Eisenbahnlinie von Südosteuropa bis Bagdad dem Indien vorgelagerten Persischen Golf näherkamen, was England als Bedrohung empfand. Wollte man als Kontinentalmacht England zum Bündnispartner gewinnen, durfte man keinesfalls die englische Vorherrschaft zur See in Frage stellen. Genau aber das begann 1898 mit dem deutschen Flottenrüstungsprogramm. 1897 war im Reichstag durch den Leiter des Auswärtigen Amtes Bülow - dem späteren Reichskanzler - bereits das Wort gefallen, das die Wendung von Bismarcks Europapolitik zu einer dezidierten Weltmachtpolitik deutlich machte: „Die Zeit sei vorbei, da der Deutsche seinen Nachbarn Erde und Meer überlasse und sich selbst nur den Himmel reserviere - jetzt verlange er auch seinen Platz an der Sonne!“ Die verstreuten deutschen Kolonialgebiete in Ostasien und dem pazifischen Raum sollten als Stützpunkte einer weltweit operierenden Kriegsflotte dienen, mit der das Reich in die Weltpolitik als Machtfaktor eingreifen wollte. Deutschlands Zukunft liege auf dem Wasser - so umschrieb Wilhelm II. diese Politik. Die Bündnisgespräche mit England gingen weiter in den Jahren 1898 bis 1900. Im Jahre 1901, als man sich in Berlin auf die Verlängerung des Dreibundes mit Österreich-Ungarn und Italien vorbereitete, glaubte man, England den Anschluß an den Dreibund anbieten zu können, aber das war den Briten zu prekär, weil sie dadurch unmittelbar in die Balkanquerelen hineingezogen worden wären. 1904 mußte das Auswärtige Amt dann überraschend feststellen, daß England und Frankreich sich näher gekommen waren, sich über ihre kolonialen Interessen geeinigt hatten und diese neue Verhältnis offiziell durch eine ‘Entente cordiale’ (herzliches Einvernehmen) besiegelten. Die außenpolitische Konstellation für das Reich hatte sich erneut verschlechtert.

Spannungsverhältnis Deutschland <=> Frankreich und England!

Schlieffen-Plan

Der deutsche Generalstabschef Alfred von Schlieffen (1833 - 1913) arbeitete unter dem Eindruck dieser Entwicklungen ein Strategiepapier für einen künftigen Zweifrontenkrieg aus, den das Reich angesichts des russisch-französichen Bündnisses sicher einst zu führen hätte. Der Schlieffen-Plan sah vor, zunächst alle Kräfte gegen Frankreich zu wenden, dies in einem Blitzkrieg zu schlagen, inzwischen an der Ostfront hinhaltend zu kämpfen und erst nach dem Sieg im Westen mit voller Kraft Rußland anzugreifen. In diesem Plan wurde ohne weiteres in Kauf genommen, daß der Angriff gegen Frankreich durch Belgien führen müsse, dessen Neutralität seit 1831 von den europäischen Großmächten garantiert war. Der Plan wies jedoch von vornherein erhebliche Konstruktionsfehler auf. Zum eine ging man davon aus, daß England die Verletzung der belgischen Neutralität widerstandslos hinnehmen würde, zum anderen meinte man, daß die russischen Armeen schwach und schwerfällig aufmarschieren und lange Zeit nicht offensiv sein würden. Außerdem beinhaltete er, daß im Falle eines militärischen Konflikts mit Rußland das Reich automatisch Frankreich den Krieg erklären mußte. Dennoch bestimmte der Schlieffen-Plan - mit einigen Abänderungen - bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges die strategische Linie des deutschen Generalstabs, ohne daß es zu einer Abstimmung mit der Marine oder dem Auswärtigen Amt über flankiernde Maßnahmen gekommen wäre.

Deutsches Wettrüsten ab 1906

1905 demonstrierte das Reich wieder einmal Entschlossenheit, der Welt zu beweisen, wie es seinen ‘Platz an der Sonne’ einzunehmen gedenke. Wilhelm II. erschien demonstrativ beim marokkanischen Sultan in Tanger und brachte eine internationale Marokko-Konferenz ins Gespräch, die Anfang 1906 auch zustande kam, aber Frankreichs weiteres Engagement in Marokko nicht verhindern konnte. Im Mai 1906 wurde daraufhin ein weiteres Flottenprogramm verabschiedet, das das von 1900 erheblich ausweitete und sich auf Schlachtschiffe konzentrierte, die den englischen - und den französischen - Linienschiffen weit überlegen waren. 1908 führte Reichskanzler Bülow Gespräche mit England und war bereit, den deutschen Flottenbau zu verlangsamen. Da zeigte sich aber machtvoll das Defizit des wilhelminischen Staatsaufbaus: Die Chefs von General- und Admiralstab waren nicht an die Entscheidungen des Reichskanzlers gebunden, sondern sie verkehrten direkt mit dem Kaiser. Der für die Marine verantwortliche Staatssekretär Admiral von Tirpitz (1849 - 1930), der das ganze Flottenprogramm initiiert hatte und eisern vorantrieb, konnte Wilhelm II. überzeugen, Bülows Initiative zu Fall zu bringen. Der Flottenausbau ging weiter. Ein Versuch von Bülow und dem britischen Kriegsminister Richard Haldane (1856 - 1928), 1912 das Wettrüsten zu beenden und einen deutsch-englischen Nichtangriffspakt abzuschließen, führte nun - mit vierjähriger Verspätung - zu dem deutschen Angebot, die Flottenrüstung zu verlangsamen. Der britischen Regierung war das zu wenig, und die Verhandlungen über ein vernünftiges deutsch-englisches Verhältnis zerschlugen sich endgültig, als Tripitz im April 1912 im Reichstag die Annahme eines erweiterten Flottenrüstungsprogramms durchsetzte.

Spannungsverhältnis Deutschland <=> England!

Österreich-Ungarn

Österreich-Ungarn hatte 1908 die beiden osmanischen Provinzen Bosnien und Herzogowina, in denen es seit 1878 militärische Besatzungsrechte wahrnahm, seinem Staatsgebiet einverleibt. Damit hatte die Doppelmonarchie ihren slawischen Nationalitätenproblemen eine erweiterte Dimension verliehen - Tschechen, Slowaken, Polen dachten zwar auch zunehmend an nationale Selbstbestimmung, aber für sie bestand noch kein Staat, dem sie sich hätten anschließen können. Anders lag es bei den serbokroatsich sprechenden Südslawen, die das unabhängige Serbien als ihr eigentliches Mutterland betrachteten. Serbien protestierte dann auch heftig gegen die Einverleibung der südslawischen Brüder in Bosnien und Herzogowina als Untertanen des österreichischen Kaisers und rief nach der Hilfe Rußlands. Als im Herbst 1912 die christlichen Balkanstaaten das Osmanische Reich mit Krieg überzogen und fast das gesamte europäische Territorium der Türkei eroberten, vergrößerte sich Serbien erheblich und drängte zur Adriaküste. Wien wollte das mit allen Mitteln verhindern, führte eine Teilmobilmachung durch und drohte Serbien mit Krieg.

Spannungsverhältnis Österreich-Ungarn <=> Serbien!

Der neuralgische Punkt aller Bündnissysteme

Der neuralgische Punkt aller Bündnissysteme trat jetzt offen zutage: Der Gegensatz der Doppelmonarchie zu Serbien berührte Bündnisimplikationen aller kontinentaleuropäischen Großmächte. Konnte dieser neuralgische Punkt nicht entschärft werden, bot er jederzeit Anlaß zum europäischen Kontinentalkrieg. Noch einmal konnte die Krise durch englische und deutsche Vermittlungen auf friedlichem Wege beigefügt werden. Der Balkan blieb jedoch ein Krisenherd. England und Frankreich versicherten Rußland nachdrücklich, daß sie im Falle eines Krieges gegen Deutschland auf der russischen Seite stehen würden. Wilhelm II., seine Politiker und sein Generalstab kamen spätestens Ende 1912 zu der Überzeugung, daß ein Krieg unvermeidlich sei und daß es um so besser für das deutsche Reich sei, je eher er beginne. Die Rüstungsanstrengungen wurden erheblich vorangetrieben: Im Frühsommer 1914 hatte das deutsche Landheer eine Stärke von 748.000 Mann, das waren etwa 2,25 % der männlichen Reichsbevölkerung vom Säugling bis zum Greis.

Der vorstehende Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung von Ralf-Uwe Schrenk aus der Website   "Pionier Karl Dreher" (zwischenzeitlich aus dem Net)    übernommen.

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